Hinter uns liegt ein furchtbares Jahr: Terror, Krieg, die Erfolge der Populisten und Antidemokraten – das alles beschäftigt uns immer noch. Wie die Medien darüber berichten – das können und sollen wir kritisch beobachten. Der medienethische Jahresrückblick für 2016 hat die Themen Kölner Sylvesternacht, Medien und Terror in Nizza und München, Böhmermanns Satire und die Herausforderungen des "postfaktischen Zeitalters" für Medien und Journalismus.
Vorweg und weil man es nicht oft genug sagen kann: In Zeiten, in denen sich alle am öffentlichen Gespräch beteiligen, ist Medienkritik immer auch Selbstkritik. Die Akteure der öffentlichen Kommunikation sind nämlich schon längst nicht mehr nur das Fernsehen, die Zeitungen und das Radio, sondern auch Facebook, alternative Nachrichtenplattformen, Twitter – und damit alle, die in Facebook "liken", auf Twitter "retweeten" und in Foren und Kommentarspalten ihre Meinung beitragen – also Sie und ich. Wir sind in Sachen Medien schon längst Teil dessen, was wir kritisieren. Die Medienethik darf daher mit ihrer Medienkritik nicht zur Hysterisierung öffentlicher Debatten beitragen. Es geht ihr um Nachdenklichkeit und Argumente sowie um die Qualität einer medienkritischen Debatte.
Die Berichterstattung zur Kölner Sylvesternacht 2015/2016
Das Jahr 2016 begann mit der Kölner Sylvesternacht. Erstaunlich an "Köln" war, dass die tatsächlichen Ausmaße der sexuellen Übergriffe erst nach und nach ans Licht kamen. Die Polizei geriet dabei ebenso in die Kritik wie die überregionalen Medien. Hatten zwar die Kölner Medien recht bald über die ungeheuerlichen Vorgänge berichtet, so war dies beispielsweise in der "Tagesschau" erst am 4. Januar 2016 der Fall (Quelle). Natürlich war die Flüchtlingssituation die Hintergrundfolie für die vergiftete Debatte. In dieser Stimmung entlud sich einmal mehr der Hass gegenüber den etablierten Medien.
Zwar wurde auch sachliche Kritik an einer verspäteten Berichterstattung geäußert und in Teilen war eine vernünftige Debatte über die medialen Probleme möglich. Gerade aber in den Nutzerkommentaren entluden sich die hasserfüllten Vorwürfe, dass die etablierten Medien das wahre Ausmaß der Verbrechen, die von Geflüchteten begangen werden, unter den Teppich kehren wollen. Und, so die Vorwürfe weiter, dass die Medien auf diese Weise mit einer Politik gemeinsame Sache machten, die das Land an Fremde und Andersgläubige ausliefere. Diese Diskussion wiederholte sich in den letzten Wochen, in denen dem Fernsehen vorgewurfen wurde, nicht adäquat über einen mutmaßlich von einem geflüchteten Menschen begangenen Mord in Freibung berichtet zu haben.
Quellen der Journalismuskritik: Unkenntnis und der Hang zu Verschwörungstheorien
Zwar ist eine Kritik im Kontext von "Köln" berechtigt. Der Vorwurf mangelnder Sorgfalt und der Verdacht, dass einige Sender zu wenig Engagement gezeigt haben, die tatsächlichen Ausmaße schnell zu recherchieren, haben ihre Berechtigung. Der Vorwurf aber, die etablierten Medien täten dies absichtsvoll, verfolgten eine politische oder ideologische Agenda und verließen im Zuge dieser Agenda ihre Leitperspektive, objektiv zu berichten, ist absurd. 95% der Berichterstattung ist nicht zu beanstanden.