Offener Brief an den Presserat zur neuen Richtlinie 12.1. des Pressekodex

Auf der Tagung „Journalismus auf Augenhöhe“ (Nov. 2018, Darmstadt) haben sich Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung „Journalismus auf Augenhöhe“ unter anderem mit der Frage der Glaubwürdigkeit von Journalismus befasst. Auf dieser Tagung entwickelten  Kommunikationswissenschaftler und Journalisten in gemeinsamen Workshops neue Konzepte und Ideen für die journalistische Praxis. Thema war auch die Richtlinie 12.1. des vom Deutschen Presserat vorgelegten Pressekodex in ihrer neuen Fassung vom 22.3.2017. Diese wurde auf der Tagung massiv kritisiert. – Daraus ist ein „Offener Brief an den Deutschen Presserat“ entstanden, den wir hier gerne dokumentieren. Für den vollständigen Brief mit der Liste der Unterzeichner_innen lesen Sie den Brief im Original als PDF.


[Update 30.01.2018: Die Initiator_innen haben mittlerweile eine Online-Petition „Pressekodex Richtlinie 12.1: zurück zur alten Formulierung!“ eingerichtet. Wer mag kann unterschreiben (siehe auch hier).]


Offener Brief der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung
„Journalismus auf Augenhöhe“ im November 2017 in Darmstadt

An den Deutschen Presserat
Postfach 10 05 49
10565 Berlin

25. Januar 2018

Betrifft: Pressekodex – neue Richtlinie 12.1.
Kritik aus Wissenschaft und Journalismus: Einladung zum Zirkelschluss

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir haben uns als Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung „Journalismus auf Augenhöhe“ im November in Darmstadt unter anderem mit der Frage der Glaubwürdigkeit von Journalismus befasst. Auf dieser Tagung entwickelten Kommunikationswissenschaftler und Journalisten in gemeinsamen Workshops neue Konzepte und Ideen für die journalistische Praxis. Thema war auch die Richtlinie 12.1. des vom Deutschen Presserat vorgelegten Pressekodex in ihrer neuen Fassung vom 22.3.2017. Diese wurde auf der Tagung massiv kritisiert.

Insbesondere die Formulierung, für die Erwähnung der Zugehörigkeit zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten solle ein „begründetes öffentliches Interesse“ bestehen, erscheint den Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern dieses Briefes als Einladung zum Zirkelschluss: Das öffentliche Interesse wird durch die Medienberichterstattung hergestellt. Ein Narrativ des öffentlichen Diskurses, das einer bestimmten Minderheit ohne Sachbezug Straftaten unterstellt, könnte ein solches öffentliches Interesse begründen und würde dadurch Vorurteile weiter verfestigen. Zudem stellt sich die Frage, wie man den sehr unscharfen Begriff eines „öffentlichen Interesses“ definiert und wer entscheidet, wann es begründet ist. Mit der neuen schwammigen Formulierung wird den Redaktionen keine Entscheidungshilfe mehr an die Hand gegeben. Sich an einem begründeten öffentlichen Interesse zu orientieren und diskriminierende Berichterstattung zu vermeiden, ist für seriösen Journalismus selbstverständlich. Der Paragraph könnte in seiner jetzigen Form ersatzlos gestrichen werden.

Wir halten es allerdings für wichtig, dass der Presserat zu dieser gesellschaftlich relevanten Frage Stellung nimmt. Die alte Formulierung der Richtlinie, nach der ein begründeter Sachbezug gefordert war, formulierte eine klare Position. Nach unserer Ansicht bestand kein Anlass, diese Formulierung zu ändern. Die Neufassung berücksichtigt zu wenig, dass Fakten stets im Kontext sogenannter Frames von Journalistinnen und Journalisten mit Bedeutung versehen und vom Publikum rezipiert werden. Vorurteile sind in solchen Frames und Narrativen zwischen den Zeilen enthalten, oft ohne dass deren diskriminierender Gehalt erkennbar ist. Sie werden auf diese Weise reproduziert.

Ansprechpartner für Rückfragen:

Prof. Dr. Friederike Herrmann
Professur für Journalistik und Kommunikationswissenschaft
Ostenstr. 25
85072 Eichstätt
+49 8421 93-21755
friederike.herrmann@ku.de

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Freie Hörfunkjournalistin
Haußerstraße 48
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07071 25 41 47 oder 0173 561 541 9
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Prof. Dr. Margreth Lünenborg
Freie Universität Berlin
Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft
Garystr. 55
14195 Berlin
Tel.: 030/838-57352 (Sekr. -57449)
margreth.luenenborg@fu-berlin.de

Prof. Dr. Ernst Fricke, Mag. rer. publ.
Honorarprofessor für Medienrecht und Gerichtsberichterstattung, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Rechtsanwalt | Mediator
Tel. +49 (0)871 – 925 98 0
Fax +49 (0)871 – 22 8 93
ernst.fricke@kanzlei-fricke.de

 

Alexander Filipovic

Professor für Sozialethik an der Universität Wien, Schwerpunkte: Medienethik, Technikethik, politische Ethik, Wirtschaftsethik

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