Medien – Absturz – Ethik. Eine Kritik der Medienkritik

Die Medien stehen im Zuge des Flugzeugabsturzes in der Kritik. Aber würde es nicht helfen, auch in der Medienkritik ein wenig herunterzufahren? Wenn Medienkritik selbst ein Aufreger wird, dann lautet mein Urteil: Überengagiert!

Die These, mit der man gerade viele Likes, Retweets, Beifall und entrüstet-schockierte Zustimmung erhält ist: „Mit dem Absturz der Germanwings-Maschine sind auch die Medien abgestürzt“. In 10000 von medienkritischen Tweets lesen wir von „Schande„, von „ich schäme mich“ oder „Ihr seid zum Kotzen„. Der Journalismus ist „erbärmlich„, der Presserat wird angefleht einzuschreiten und es wird gleich mitbehauptet, dass er das sowieso nicht macht, das ja auch nichts nützt und er mehr Rechte braucht. Auf den etablierten (Qualitäts-)Plattformen beginnt derweil die Berichterstattung über die Berichterstattung (hier oder hier).

Jetzt könnte die Frage lauten: Macht der Journalismus in der Berichterstattung über den Absturz der Germanwings-Maschine alles falsch oder alles richtig? Ohne Frage: Diese Überlegungen sind wichtig und müssen in den folgenden Wochen angestellt werden. Vieles ist gut, aber einiges ist auch schlecht gelaufen. Wie eigentlich immer in der Berichterstattung…

Kritik an der Journalismus- und Medienkritik

Was mich dagegen jetzt stört, ist die Empörungswelle über mutmaßlich schlechten Journalismus oder mutmaßlich „abstürzende“ Medien selbst. Gestern Mittag twitterte ich in diesem Sinne:

Trotz des Schreibfehlers im Hashtag hat das einige Resonanz ausgelöst. Ganz richtig wird die Situation als Echtzeit-Medienkritik beschrieben – freilich eine, die im Modus der Empörung (und zum Teil im Modus der Verachtung) funktioniert. Warum kritisiere ich die Medien- und Journalismuskritik?

Bildblog und Knüwer

Das Bildblog titelte: „Absturz des Journalismus“. Zunächst: Ohne die Metapher des „Absturzes“ kommt in diesem Fall offenbar kaum eine Medienkritik aus. Die Metapher finde ich allein schon problematisch: Als ob die Medienberichterstattung in Bezug auf die Folgen vergleichbar wäre mit dem Flugzeugabsturz…

bbAber nun… Sicher hat das Bildblog recht mit der Kritik an den spezifischen Fehlleistungen, die sehr schön dokumentiert werden. Und es vergisst auch nicht, positive Beispiele zu nennen. Die Empörung aber ist unangemessen, jedenfalls wenn man den eigenen Artikel als journalistischen Artikel versteht: Es fallen Begriffe wie „furchtbar“, „schamlos“, „eklige Dinge“. Nochmal: In der Tat sind die dort beschriebenen Beispiele Fehlleistungen. Aber ist diese Form der Medienkritik hier eigentlich hilfreich oder gehört sie nicht mit zum großen Empörungskarussell, in dem die Empörung über den Absturz eine Ebene höher (bzw.: tiefer) auf der Ebene der Reflexion auf die Berichterstattung nochmal und im Modus moralischer Erhabenheit stattfindet? Würde es nicht helfen, auch in der Medienkritik ein wenig herunterzufahren? Wenn Medienkritik selbst ein Aufreger wird, dann lautet mein Urteil: Überengagiert!

Einigen Wirbel hat auch der Titel von der Wochenzeitung „Die Zeit“ verursacht. Es ist vom „Absturz eines Mythos“ die Rede – gemeint ist Lufthansa. Ohne Frage mindestens unglücklich. Die Entrüstung darüber aber auch. Der entsprechende Artikel von Thomas Knüwer beginnt mit den Worten „Vielleicht hat Sabine Rückert Flugangst.“ Ähm…!? Knüwer lässt, so wird im Laufe des Artikels klar, seine Kritik an dem Titel in eine Kritik an der Journalistin Sabine Rückert münden. Er kritisiert die spekulativen Tendenzen in dem betreffenden Artikel und fängt dann selber damit an („Wenn die aber spekulieren darf, tu ich das auch mal. „) Aber mal abgesehen von der deswegen m.E. verunglückten Medienkritik (die natürlich auch einige wichtige kritikwürdige Dinge nennt…), teilt sich Knüwer seine Entrüstung mit wie es scheint Millionen von Zeitungsleser_innen (vgl. die Kommentare zum Titelbild der Zeit bei Facebook), die von nun an die „Zeit“ nicht mehr lesen werden und es im Übrigen schon lange gewusst haben, dass die „Zeit“ ja in Richtung Boulevard unterwegs ist. Puuh.

Fazit

In der Tat sind es schwierige Zeiten für einen Medienethiker. Die Entrüstung über journalistische Fehlleistungen wird Teil der Aufführung. Medienkritik im Modus der Empörung oder Verachtung ist nicht hilfreich. Sie wird damit selbst zum Element einer von ihr kritisierten Medienwelt. Der auf der Empörungswelle reitende Ruf nach dem Presserat oder der Medienethik als Journalismus-Polizei ist ein Missverständnis sowohl des Auftrags und Sinn des Presserates als Selbskontrolleinrichtung als auch der Medienethik als im Kern philosophischer Reflexion im Modus der Nachdenklichkeit. Die Medienkritik der bloggenden, twitternden und kommentierenden Öffentlichkeit ist selbstredend nicht per se schlecht – insofern sie selbst aber die Empörung hervorruft und befördert, die sie im Journalismus eigentlich kritisieren sollte, wird es kontraproduktiv.

Medienethik, Presserat, professionelle Medienkritik, Medienrecht bzw. Rechtssprechung und die Kritik der Öffentlichkeit sind verschiedene medienkritische Akteure mit einer wichtigen Aufgabe und unterschiedlichen Rollen. Die Medienethik hat aktuell, so meine ich als Medienethiker, erst einmal die Aufgabe, die Bälle flach zu halten. – Ob das mit dieser Kritik der Medienkritik gelingt – da bin ich mir unsicher… ich hoffe jedenfalls auf unaufgeregte Reaktionen.

Alexander Filipovic

Professor für Sozialethik an der Universität Wien, Schwerpunkte: Medienethik, Technikethik, politische Ethik, Wirtschaftsethik