Medienethiker der ersten Stunde verstorben: Wolfgang Wunden († 5.10.2020)

Foto: Horst Niesyto

Er gehörte zu den Gründern des „Netzwerks Medienethik“ (1997). Aber er hatte schon vorher angefangen, an die Produktion und Rezeption von Medien ethische Fragen zu stellen und Kommunikationswissenschaftler und Philosophen einzuladen, sie mit ihm zu beantworten. Herausgekommen sind seine vier Sammelbände zur Medienethik (1989; 1994; 1996; 1998). Aber voraus gingen Tagungen und Arbeitskreissitzungen an der Katholischen Akademie Stuttgart-Hohenheim, die er mit organsierte. So brachte er schon 1979 den theologischen Ethiker Alfons Auer dazu, Gedanken zur „Verantworteten Vermittlungsleistung“ der Medien zu entwickeln.

Stuttgart wurde zu seinem Lebensmittelpunkt, als er 30 Jahre wurde. 1942 in Krefeld geboren, studierte er in den 1960er Jahren – also während des II. Vatikanischen Konzils – in Rom Philosophie und Theologie. In seiner abschließenden Dissertation suchte er das Recht des Menschen auf Achtung und Schutz seiner Intimsphäre zu begründen. Diese anthropologische Perspektive scheint bei seinen eigenen Aufsätzen zur Medienethik auch immer wieder durch.

Doch seinen Broterwerb fand er nicht in der Wissenschaft, sondern ab 1973 im Süddeutschen Rundfunk (SDR), und das in verschiedenen Positionen. Zuerst war er Persönlicher Referent des SDR-Intendanten Hans Bausch – in einer Zeit, in der sich die sowohl die digitale Nutzung des Telefonkabels wie die Vermehrung der Rundfunkprogramme abzuzeichnen begannen und politisch vorbereitet wurden. In den 1980er Jahren leitete er dann die Hörfunk-Redaktion für Bildungsprogramme, unter anderem für Funkkollegs zu Erziehungsfragen, speziell zum Umgang mit den „neuen“ Medien (Medienpädagogik). In den 1990ern koordinierte er das Hörfunk-Programm „S 4 Baden-Württemberg“, das durch die Fusion von SDR (Stuttgart) und SWF (Baden-Baden) entstanden war. Im Jahr 1998 übernahm er bis zu seiner regulären Pensionierung (2007) den Bereich „Unternehmensstrategie“.

Doch diese Aufzählung erfasst nur einen Teil der Wirksamkeit, die Wolfgang Wunden im Bereich Medienpädagogik und Medienethik entfaltete – außerhalb des Rundfunks, aber mit dessen ausdrücklicher Billigung. So war der SDR Mitglied in einem „Arbeitskreis Medienpädagogik“, der sich 1981 konstituierte und die jährlichen „Stuttgarter Tage der Medienpädagogik“ in Hohenheim durchführte. In den Referaten und Workshops ging es darum, nach der „Menschendienlichkeit“ der neuen Medien zu fragen und danach, wie eine reflektierte Mediennutzung durch entsprechende Medienkompetenz gewährleistet werden kann. Die Teilnehmenden an dieser Tagungen – der Autor dieses Nachrufes gehörte bald auch dazu – waren sich darin einig, dass es der Medienpädagogik nicht nur um das Bewahren und Beschützen gehen darf, sondern um eine umfassende kulturelle Sicht auf die, viele Bereiche durchdringenden Medien. Das machte auch Wolfgang Wundens Engagement für die 1983 gegründete, bundesweite „Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur“ (GMK) deutlich – er wurde Geschäftsführer im Gründungsvorstand.

Es war im Jahr 1995, als mir Wolfgang Wunden nach einer solchen Hohenheimer Tagung einen Leitzordner mit Adressen und Referaten des medienethischen Arbeitskreises überließ, der sich an der dortigen Akademie gebildet hatte, aber dort nicht mehr fortgeführt werden konnte. Sein Wunsch und meine Zusicherung, diese Anfänge eines medienethischen Diskurses in München fortzuführen, erfüllten sich in der Gründung des Netzwerks Medienethik (1997). Fortan kam er jedes Jahr im Februar zu den Jahrestagungen nach München, die bald mit der neu gegründeten Fachgruppe „Kommunikations- und Medienethik“ der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft“ (DGPuK) gemeinsam durchgeführt wurden. Im Rahmen eines Lehrauftrags hielt er in den Jahren 2002 bis 2005 jeweils im Sommersemester an der Hochschule für Philosophie – wie vorher schon an der Universität Stuttgart und Hohenheim – Seminare mit medienethischen Fragestellungen.

Im Februar 2015 war er zum letzten Mal zur medienethischen Jahrestagung in München – schon gekennzeichnet durch eine fortschreitende Parkinsonerkrankung. Am 5. Oktober 2020 ist er in Stuttgart ruhig gestorben. Nicht nur ich, sondern viele Medienpädagogen und Medienethiker haben mit ihm einen Mitstreiter der ersten Stunde und einen unermüdlichen Netzwerker verloren. Wir verabschieden ihn in Respekt und Dankbarkeit für seine Lebensleistung und für seine stets freundliche und verbindliche Art. Für viele von uns wurde er zu einem liebenswerten Freund, mit dem wir gern bei einem guten Tropfen beisammen gesessen sind und uns stets angeregt unterhalten haben.

Lesetip: Horst Niesyto im Gespräch mit Wolfgang Wunden. In: „Ludwigsburger Beiträge zur Medienpädagogik“, Ausgabe 12/2009. Online abrufbar.

Zitierte Literatur:

  • Auer, Alfons (1979). Verantwortete Vermittlung. Bausteine einer medialen Ethik. In: Zentralstelle Medien der Deutschen Bischofskonferenz & Katholische Akademie Stuttgart (Hrsg.), Ethik und Kommunikation. Telekommunikation – ein Fortschritt für den Menschen?  (= Hohenheimer Medientage 27.–29. Juni 1979) (S. 61–80). Bonn: DBK.
  • Wunden, Wolfgang (1981): Vom Ethos des Rezipienten. Communicatio Socialis, 14, 15–22. DOI: 10.5771/0010-3497-1981-1-15.
  • Wunden, Wolfgang (Hrsg.) (1989). Medien zwischen Markt und Moral. Beiträge zur Medienethik 1. Stuttgart: Steinkopf.
  • Wunden, Wolfgang (1986). Medienethik – Medienpädagogik. Zeitschrift für Evangelische Ethik, 30, 60–73. DOI: 10.14315/zee-1986-0107.
  • Wunden, Wolfgang (Hrsg.) (1994). Öffentlichkeit und Kommunikationskultur. Beiträge zur Medien­ ethik 2. Frankfurt a. M.: gep Buch.
  • Wunden, Wolfgang (Hrsg.) (1996). Wahrheit als Medienqualität. Beiträge zur Medienethik 3. Frankfurt a. M.: gep Buch.
  • Wunden, Wolfgang (1996). Kommunikationswissenschaftler und Ethiker – Plädoyer für einen Dialog. In: W. Hömberg & H. Pürer (Hrsg), Medien-Transformation. Zehn Jahre dualer Rundfunk in Deutschland (S. 316–321). (Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, 22). Konstanz: UVK Medien.
  • Wunden, Wolfgang (Hrsg.) (1998). Freiheit und Medien. Beiträge zur Medienethik 4. Frankfurt a. M.: gep Buch.
  • Wunden, Wolfgang (2001). Netzwerk Medienethik – ein Experiment. In: Medienethik. Freiheit und Verantwortung. Festschrift zum 65. Geburtstag von Manfred Kock.  Hrsg. von C. Drägert & N. Schneider, bearb. von H.-W. Fricke-Hein & M. Schibilsky (S. 319–333). Stuttgart & Zü­rich: Kreuz Verlag.
  • Wunden, Wolfgang (2005): Medien für das Volk. Massenmedien im Kontext kirchlicher Betrachtung, in: Für die Menschendienlichkeit der Medien. Hermann-Josef Schmitz zum Abschied, Hrsg. Von Abraham P. Kustermann und Michael C. Hermann, (Hohenheimer Protokolle, Bd. 62) Stuttgart 2005, 23-32.

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